Positionspapier des Landesjugendrings zum GaFöG

Das Papier beleuchtet, wie die Angebote der Kinder- und Jugendarbeit nach §11 SGB VIII und Betreuungsanspruch nach dem Ganztagsförderungsgesetz (GaFöG) auf mehreren Ebenen im Widerspruch zueinander stehen, aber sieht auch Schnittmengen und Perspektiven. Betont wird der sich daraus ergebende Handlungsbedarf, der in 5 Punkten an die Politik formuliert und gefordert wird. Der ganze Text unten...

Position

Angebote der Kinder- und Jugendarbeit nach §11 SGB VIII und Betreuungsanspruch nach dem Ganztagsförderungsgesetz – Widersprüche, Schnittmengen und Perspektiven

Begründung und Charakter der Kinder- und Jugendarbeit
Im Rahmen der Jugendarbeit sind jungen Menschen die zur Förderung ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote zur Verfügung zu stellen. Hierzu zählen u.a. die außerschulische Jugendbildung, die internationale Jugendarbeit, die Kinder- und Jugenderholung sowie die Kinder – und Jugendarbeit in Sport, Spiel und Gesellschaft (vgl. §11 SGB VIII). Die herausragende Qualität der Jugendarbeit liegt dabei in der Herstellung von Freiräumen, die eigenverantwortliches und selbstbestimmtes Handeln ermöglichen, junge Menschen somit an Verantwortungsübernahme und Eigenständigkeit heranführen und ihre Demokratiefähigkeit fördern. Diese für unsere freiheitlich-demokratisch Gesellschaftsordnung so zentral wichtige Kompetenzförderung geschieht in der gesamten Bildungslandschaft, vor allem aber im Rahmen der Jugendarbeit. Für den einzelnen jungen Menschen lässt sich hier kein individueller Rechtanspruch, sondern ein allgemeiner Rechtsanspruch auf soziale Infrastruktur ableiten.

Charakter des Betreuungsanspruchs nach GaFöG
Das Ganztagsförderungsgesetz hingegen begründet einen individuellen Rechtsanspruch auf Betreuung. Die Kinder- und Jugendarbeit ist nicht direkter Adressat dieses Rechtsanspruchs, sondern nur allgemein als Teil der Kinder- und Jugendhilfe.

Kinder- und Jugendarbeit und GaFöG – ein Widerspruch auf mehreren Ebenen
Das Gebot der Freiwilligkeit und Selbstbestimmung in der Kinder- und Jugendarbeit sowie die Verpflichtung des Jugendhilfeträgers zur Bereitstellung einer entsprechenden sozialen Infrastruktur (woraus sich kein individueller Rechtsanspruch ableiten lässt), stehen dem individuellen Rechtsanspruch auf Betreuung nach dem GaFöG somit systematisch und inhaltlich entgegen: Der Betreuungsanspruch im Zuge der Umsetzung des Rechtsanspruchs nach GaFöG widerspricht nicht nur in der Systematik der Leistung, sondern insbesondere auch durch die Fokussierung auf die Zielgruppe der Kinder elementaren Prinzipien der Kinder- und Jugendarbeit, weist außerdem hinsichtlich des Prinzips der Freiwilligkeit und Unbestimmtheit der Zielgruppe eine Unvereinbarkeit mit den Grundprinzipien der Jugendarbeit auf und gefährdet somit deren Erfolg (vgl. Sturzenhecker und Scherr in Handbuch Offene Kinder- und Jugendarbeit).

Ressourcen der Kinder- und Jugendarbeit sind marginal
Gleichzeitig darf die prekäre Situation der Kinder- und Jugendarbeit nicht unerwähnt bleiben. Insbesondere die kommunale Jugendarbeit, die im Rahmen der offenen Jugendarbeit den entwicklungsbedingten besonderen Bedürfnissen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen gerecht werden muss, ist vielerorts personell und finanziell marginal ausgestattet. Fehlender
Fachkräftenachwuchs sowie das Ausscheiden erfahrener Fachkräfte verschärfen die angespannte Situation zusätzlich. Das Wegbrechen von Ehrenamtlichen kommt hinzu, die Auswirkungen auf die Gewinnung von Ehrenamtlichen ist deutlich spürbar. Keinesfalls dürfen die ohnehin knappen Ressourcen der Kinder- und Jugendarbeit für die Durchführung von Betreuungsangeboten umgewidmet werden, nur weil Kinder gemeinsam mit ihren Eltern über eine stärkere Lobby verfügen als Jugendliche. Dies würde die Marginalisierung der Zielgruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen verstärken und die Ziele der Jugendarbeit aushöhlen.
Ähnlich stellt sich die Ressourcenfrage für die Jugendverbände dar. Jugendverbände leben zwar vom Engagement Ehrenamtlicher. Ehrenamtliche verantworten u.a. Maßnahmen der sozialen Bildung in Ferienzeiten, in der Regel motiviert durch die inhaltliche Prägung ihres Verbandes. Sie werden nach den bundesweiten Standards der Jugendleiter*in-Card (Juleica) hochwertig ausgebildet und qualifiziert. Ein vergleichbares Qualifikationsinstrument für Ehrenamtliche gibt es in kaum einem anderen Bereich des ehrenamtlichen Engagements. Aber nur die großen Jugendverbände verfügen über eine flächendeckende Hauptamtlichenstruktur, die auch immer wieder von Sparplänen bedroht ist. Ein Betreuungsangebot der Jugendverbände wird daher strukturell nur im Rahmen der Integration in die bestehende Arbeit ohne verbindliche Zusage für Folgejahre möglich sein.
Wer auch nur einen Teil der personellen Ressourcen der Kinder- und Jugendarbeit, ob kommunal oder verbandlich, für die Diskussion, Konzeptentwicklung und/ oder Umsetzung von Betreuungsangeboten abzieht, deckt vielleicht kurzfristig den Betreuungsanspruch, gefährdet aber langfristig die Struktur der Kinder- und Jugendarbeit insgesamt.

Schnittmenge nutzen – eine Alternative unter besonderen Bedingungen
Jugendverbände, freie und kommunale Träger der Jugendarbeit gestalten im Sinne der oben genannten Prinzipien der Kinder- und Jugendarbeit Angebote der sozialen Bildung in den Ferienzeiten, die eine familienunterstützende Funktion erfüllen können. Sie können neben etablierten Strukturen auch Konzepte zum Kinderschutz und ein breites lokales Netzwerk vorweisen. Dieser Umstand verleitet dazu, beide Leistungen (in Teilbereichen) gleichzusetzen und Synergien unreflektiert zu nutzen – und damit die ohnehin marginal ausgestattete Jugendarbeit auszuhöhlen. Um sowohl der Kinder- und Jugendarbeit gerecht zu werden als auch eine gute Betreuungssituation herzustellen sind folgende Punkte zu berücksichtigen:

  1. Ressourcen der Jugendarbeit bleiben in der Jugendarbeit!
    Alle Teilbereiche der Kinder- und Jugendarbeit müssen personell und finanziell auskömmlich ausgestattet werden. Eine Ressourcenverschiebung für Maßnahmen in den Ferien, die eine Betreuungsfunktion erfüllen, höhlt die Zielsetzung der Jugendarbeit aus.

  2. Keine Konkurrenz zu Lasten der Bedürfnisse junger Menschen!
    Bestehende Ferienmaßnahmen der Kinder- und Jugendarbeit dürfen nicht durch neue Strukturen, ungleiche Förderung oder andere Konkurrenzsituationen verdrängt werden. Dies gilt auch für die Höhe der Entgelte/ Aufwandsentschädigung für die in sozialen Bildungsmaßnahmen/Betreuungsangeboten Tätigen.

  3. Eigenständigkeit und Standards erhalten, keine Verzweckung der Kinder- und Jugendarbeit!
    Für die Jugendarbeit als Handlungs-, Entwicklungs- und Bildungsfeld für Jugendliche und junge Erwachsene sowie für die Nachwuchsgewinnung von Ehrenamtlichen für die Jugendarbeit müssen ausreichende personelle und finanzielle Ressourcen für die Qualifizierung und Begleitung der jungen Ehrenamtlichen zur Verfügung gestellt werden. Die Schaffung von Gestaltungsräumen für junge Menschen hat in der Jugendarbeit Priorität, der Betreuungsbedarf von Kindern und deren Eltern/Sorgeberechtigten kann allenfalls nachrangig berücksichtigt werden. Die Träger*innen der Jugendarbeit bestimmen ihre fachlichen Voraussetzungen (z.B. JuleiCa Ausbildung).

  4. Freiwilligkeit und Wahlfreiheit für Kinder und Jugendliche!
    Aufgrund des Prinzips der Freiwilligkeit findet die Betreuungsfunktion von Angeboten der Kinder- und Jugendarbeit dort ihre Grenzen, wo Kinder sich in Angeboten der Kinder- und Jugendarbeit nicht wohlfühlen oder diese aus unterschiedlichen Gründen für die betreffenden jungen Menschen nicht passgenau sind. Eine erzwungene Teilnahme von Kindern an Maßnahmen der Kinder- und Jugendarbeit aufgrund eines Betreuungsbedarfs ist zu verhindern.

  5. Engagement junger Menschen ermöglichen!
    Die Studienzeiten müssen mit den Schulzeiten harmonisiert werden, damit auch Studierende wieder als ehrenamtliche Teamer*innen in Ferienmaßnahmen eingebunden werden können.

Kinder- und Jugendarbeit kann als ein Partner im Jugendhilfesystem einen wertvollen Beitrag zur Umsetzung des Betreuungsanspruchs im Sinne des GaFöG leisten, wenn die oben beschriebenen Rahmenbedingungen geschaffen und offene Fragen geklärt werden. Der Charakter der Bildungsarbeit und die qualitativen Standards müssen dabei erhalten bleiben.

Position des Landesjugendrings RLP,  der aej RLP sowie der Sportjugend RLP

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